︎

Reisebericht “Wiedikon - Abidjan”


27.Okt 2021

Velo gepackt: Vier Sagoschen, Schlafsack, Zelt, Ersatz-Schlauch, vier T-Shirts, Halterungen für 3 Liter Wasser, Sattelferderung, Flöte, Sackmesser.
Alles dabei, so hoffe ich. Testfahrt zum Zoo. Das Velo ist schwer. Tja. Mein Velo, mein Haus. Ab morgen.

Google-Maps Auto-Route: 8126 km. 111h Fahrtzeit. Ha, in vier Tagen da!


Google Maps gibt keine Velo-Route, aber eine Zu-Fuss-Route: 6000 Km quer durch die Sahara. Ein 1200-Stunden-Spaziergang.
Ich werde der Küste entlang fahren

28.Okt 2021
Abfahrt
Zürich Wiedikon - Abidjan

Los geht’s. Ein letzter Café im “Zentral”. Vor der Abfahrt segnet Oscar mein Velo und mich mit Altstetter Weihrauch.

Für alle Fälle ist in der Schuhsole die Passkopie und ein Notgeld versteckt. 

An der Stadtgrenze wird dank Oscar eine Tradition neu belebt: Das Ortsschild mit Freundes-Hilfe zu überklettern - der guten Geister wegen. Als ich endlich oben war, verbog sich das “Generell-50”-Schild und in mir blitzte auf, wie ich am Boden liege und die Reise schon beendet ist. Aber nein, die guten Geister waren bereits mir mir, das Schild verbog sich nur leicht!


Bei der Rückkehr soll ich über dieses Schild wieder in die Heimat kehren. Ich freu mich schon.
Auf Wiedersehen!

28.Okt 2021
Die Limmat abwärts, dann die Aare aufwärts. Der Herbst, meine liebste Jahreszeit.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...

aus dem Gedicht von Hesse “Stufen”


Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!



Auch der Fluss scheint verzaubert...

29.Okt.
Mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, heisst jetzt, Zeit zu haben. Ich mache ca. 50km pro Tag. Halte an, wo immer ich will. Entdecke die Langsamkeit, die Stille. Es ist eine Art meditatives “Leer-sein”, aber in voller Bewegung. Irgendwie erfüllend. Aber auch einsam. Mit sich selber sein, ist nicht immer einfach. Aber alles passiert einfach.
Der Körper muss sich auch daran gewöhnen. Vor allem mein Rücken. Ich strecke mich oft, hänge mich kopfüber über irgendein Geländer: Länge tanken.
Und der Popo will auch öfters eine Pause.
Ich lese, dass die Grenze zwischen Spanien und Marokko zu ist und zurzeit keine Fähre von Spanien nach Marokko fährt. Dies hat nicht nur Covid-Gründe sondern ist anscheinend auch auf den aussenpolitischen Streit zwische Spanien und Marokko zurückzuführen. Es gibt unterschiedliche Ansichten betreffend der Westsahara und dessen Unabhängigkeitsbewegung. So sollte die West-Sahara im Landesinnern auch gemieden werden, heisst es.
Von Frankreich aus fahren im Moment noch Fähren nach Marokko, lese ich. Also gehe ich nach Frankreich, nicht nach Spanien. Jetzt wird es Zeit, dass ich aus Europa raus komme, bevor Covidi wieder wild um sich schlägt.


03.Nov.


04.Nov.

Ich fahre die Rhone abwärts Richtung Marseille. Es gibt von Genf bis nach Marseille einen Veloweg. “Via Rhona”. Keine Autos, alles gemütlich flussabwärts. Echt schön.
Die Zeit des Sonnenuntergangs ist jeweils die schönste Zeit: Leicht euphorisch beschwingt, das wunderschöne Abendlicht geniessend und dann plötzlich ambivalent, angespannt, sobald es dunkel ist, da ich bald einen Schlafplatz oder ein Hostel finden muss.
Wenn man alleine reist, passiert viel im Kopf. Die Gefühle sind stark ausgeprägt und schlagen weit in alle Richtungen aus.

Eines Abends in Caderousse: Das kleine Städtchen ist leer. Niemand auf der Strasse. Der Gastgeber in einem Bed&Breakfast sagt mir, es sei voll. Ich frage mich, wie das sein kann. Die zweite Herberge ist geschlossen. Die Stadt scheint verlassen. Ich fahre weiter durch die leeren Gassen. In der Ferne sehe ich, dass mich jemand verfolgt. Ich beschleunige. Die Person wird auch schneller. Mir wird mulmig. Es ist dunkel. Ich bin allein. Die Person kommt immer näher. Sie ist viel schneller als ich. Und sie wippt heftig auf und ab. Ich erkenne allmählich ein komisches Gefährt. Ich bleibe stehen, will heraus finden, ob die Person mir wirklich folgt. Sie bleibt vor mir stehen, auf einem bizarren Steh-Trett-Fahrrad. Es ist der der Typ der Herberge. Ausser Atem erklärt er mir, er habe doch Platz, ein Zimmer konnte geputzt werden. In seinem Hostel angekommen, bin ich der einzige Gast. Was geht hier vor? Wieso lehnt er mich zuerst ab und nimmt mich nun doch auf?
Er ist sehr herzlich, kocht für mich, wir sitzen zusammen in seiner Küche, trinken Wein. Er erklärt mir nun ehrlich, was mit ihm passierte, nachdem er vor mir die Türe schloss. Er bekamt Angst, sagte er mir. Vor vier Wochen sei hier in der Gegend ein alleinreisender spanischer Velofahrer nachts in seinem Zelt am “Via Rhona” erschlagen worden! (https://www.lefigaro.fr/faits-divers/ardeche-un-cycliste-battu-a-mort-en-pleine-nature-une-enquete-pour-meurtre-ouverte-20211008)
Es sei keine gute Zeit, draussen zu schlafen. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen und Sorge. Er musste mich wieder finden, erzählte er mir.
Ich war zum einen froh, dass ich bei ihm sein durfte, zum Anderen aber echt besorgt, in Zukunft alleine draussen zu schlafen.


05.Nov

Die Vegetation wird langsam mediteran.
Eine Nacht, diesmal ohne Zelt, unter dem Sternenhimmel. “Lass die Angst nicht dominieren” sagte ich mir. Obwohl ich dann beim einschlafen natürlich Angst hatte und jedes kleinste Geräusch wahrnahm, war ich dann am Morgen trotzdem ausgeschlafen und in frisch fröhlicher Stimmung, so als hätte ich gerade einen Berg erklommen. 


06.Nov

Wunderschöner Veloweg am “Canal Du Midi” entlang. Gemütliches cruisen mit extrem feinen Datteln im Gepäck. Formidable!

ANKUNFT AM MEER! ︎︎︎︎︎︎

07.Nov
Ich möchte im industrie-Hafen in Séte ein Frachtschiff finden, das nach Marokko oder Senegal fährt. Bei der Barriere fahre ich mit dem Fahrrad links vorbei, winke dem Wächter zu, er winkt mir zurück. Ich sehe wohl mit meiner Leucht-Veste und dem Fahrrad wie ein Hafenarbeiter aus. Über Vesselfinder.com erfahre ich von einem Schiff, das aktuell im Hafen ist und nach Marokko ablegt. Als ich im kilometerlangen Hafen das Schiff endlich finde, frage ich einen Mitarbeiter, ob ich mit dem Kapitän sprechen könne. Dieser fragt mich, wer ich sei und was ich hier suche. Ich erkläre es ihm, worauf er mit irgendwem funkt und dann sagt, ich solle das Areal verlassen. Ich fahre weiter, geniesse den emsigen Hafen, plaudere mit zwei Lastwagen-Chauffeuren, die sich zwischen ihren Lastwagen ohne Anhängern gemütlich mit Campingstühen eingerichtet haben und Spiegeleier braten. Als ich andere Speditions-Unternehmen nach einer Überfahrt befrage und ich bei allen nur ungläubige Blicke ernte, holt mich plötzlich ein Security ein und schimpft mit mir, ich dürfe hier nicht sein und brauche eine Bewilligung. Sie alle hätten nach dem Typ mit dem Velo im Hafen gesucht! Ich sah also doch nicht wie ein erfahrener Hafenarbeiter aus;) Er begleitet mich mit seinem Fahrzeug nach draussen, wobei er darauf besteht, dass ich vor ihm herfahre, damit ich nicht entwischen kann. An der Barriere empfangen mich weitere fünf Securities, die mich ruppig behandeln und sich dann gegenseitig beschuldigen, wer mich reingelassen habe. Nachdem ich ihnen versicherte, dass ich kein Krimineller bin, entlassen sie mich.

Ich schreibe noch einige Mails an diverse Transportschiff-Unternehmen, doch es scheint kaum möglich zu sein, auf die Schnelle ein Frachtschiff zu finden. Ich beschliesse, die Fähre zu nehmen.


08.Nov
Ich darf die Fähre nicht betreten. Mein Reisepass ist abgelaufen!

Arg!
Ich telefonieren sofort mit dem Typ an der Notpass-Stelle am Flughafen Zürich und erkläre ihm die Situation. Er: “Das isch ja schön mit em Velo, aber nämed sie doch de Flüüger nach Züri und i 15 Minütli hämmer das”.
Nein, ich will jetzt nicht zurück mit dem Flieger. “Herr Hellat, da git’s nüt zrüttle, sie müend zu mer cho”.
Ich telefoniere am nächsten Tag mit der Botschaft in Marseille. Sie ermöglichen mir eine Ausstellung, bei der ich nur nach Marseille kommen muss. Der schnelle Notpass sei allerdings nicht gut genug in Sierra Leone oder Liberia. Die richtige Pass-Produktion dauert 7-30 Tage, biometrische Daten erfassen, drucken, etc.
30 Tage warten? Oje.
Doch ich habe anfangs mit mir selber abgemacht: Es gibt kein „Feststecken“, oder „Warten“, sondern nur ein genaueres Entdecken des Ortes.



09.Nov
Austern-Produktion in der Lagune von Séte. Junge Austern werden an ein Seil zementiert und für ein Jahr ins Meer gehängt. Die Arbeit ähnelt der Herstellung von Pralinés in einer Patisserie.



Screenshot meines Handys.


Austern schmecken mir nicht. Aber die Ambience ist magnifique. Der Produzent hört Heavy-Metal-Musik und lädt mich auf sein extrem schnelles 600ps-Boot ein, um neue Austern in der Lagune zu ernten.

10.Nov
Meine neue Familie in Séte.
17.Nov



Mein feiner, frisch gebackener Schweizer Pass ist da! Es ging überraschend schnell. Ab nach Marokko!

19.Nov Wenn man auf einem Schiff 48h Zeit hat, wird ein neuer Anstrich plötzlich zu fesselndem Kino.


20.Nov

1.Tag in Marokko. Es regnet. In der Wüste! Eine spezielle Stimmung. Erfrischend. Weisser Schaum auf der Strasse. Lastwagen spritzen mich nass.
Ich treffe bei einem verlassenen Bahnhof den Wärter, der jeden Tag zu Fuss 4 Kilometer zum benachbarten Markt spaziert. Er schenkt mir ein Brot und drei Mandarinen, die er gerade gekauft hatte. So lieb. Die besten Mandarinen, die ich je hatte.


21.NovIch hänge mich über die Seitenplanke neben der Strasse, um meinen Rücken zu strecken. Ein Typ fällt fast vom Roller, als er mich sieht.
Abends finde ich kein Hotel und habe keine Lust, draussen zu schlafen. Ich erfahre von einem Nachtzug an einem entfernten Bahnhof. 20 Kilometer Velofahrt in der Nacht. Es ist unangenehm. Bei jedem Fahrzeug verlasse ich kurz die Strasse, da ich Angst habe, dass mich das Auto anfährt. Es ist stockdunkel. Keine Sterne, nichts. Ich bin schnell wie ein Rennfahrer. 
Ich bin überrascht, wie die Wüste in der Nacht plötzlich noch unwirtlicher erscheint.
Und eigentlich ist es ja noch gar keine Wüste, sondern erst der halb-grüne Norden Marokkos.
Ich komme endlich am Bahnhof an. Im nirgendwo. Niemand weit und breit. Alles dunkel. Hält hier wirklich ein Zug nachts um 23:04? Ich lege mich hin.
Ein Typ kommt vorbei und fragt, was ich hier mache.
Ich antworte, ich warte auf den Zug. Er freut sich über den unüblichen Gast und lädt mich zu sich nachhause ein. Es stellt sich heraus, dass er der Wärter des Bahnhofs ist. Er serviert mir Wüstenhonig mit frischem Brot. Unglaublich herzlich und gastfreundlich. Als gläubiger Muslim scheint dies selbstverständlich für ihn. Er sagt, ich würde ihn doch auch einfach aufnehmen, wenn er bei mir in der Gegend wäre. Ich nicke, und frage mich: Würde ich?
Nach dieser Reise bestimmt.
Wir sprechen über Fussball. Er kennt alle Fussballer der Schweizer Nationalmannschaft. Er fragt mich nach den Löhnen in der Schweiz, wieviel mein Velo kostet, etc. Es wird mir unangenehm - auch das ist wohl typisch Schweizerisch.
Der Zug kommt an. Aber Das Fahrrad darf nicht in den Zug. Der von einer Diesel-Lokomotive betriebene Zug ist wahrhaftig klein und eng. Es scheint wirklich keinen Platz zu haben.
Doch mein neuer Freund, der Bahnhofswärter setzt sich für mich ein. Sein Wort hat Gewicht. Mein Fahrrad wird hochkant in die Eingangstüre geklemmt und die Türe wird abgeschlossen für den Rest der Fahrt, da sie sowieso nur noch halb geöffnet werden kann. Ha.
Tausend Dank! Ab nach Fès. Juhu. Die Wolken verschwinden, der Mond erscheint. Die Landschaft sichtbar, bezaubernd. Ich geniesse die Zugfahrt. Nachts durch Marokko. 
Plötzlich ist es drei Uhr und ich habe noch gar nicht ans Schlafen gedacht. Der Zug kommt 03:05 in Fés an.


22.Nov
Fès: Eine besondere, verschachtelte Altstadt. Ledergerber mitten in der Stadt. Die Tierhäute werden geputzt, aufgeweicht, mit Kalk geschrubbt, eingefärbt, etc. Es ist wunderschön, zu zuschauen. Wobei es fast unerträglich nach Tod, Gammelfleisch, Verwesung und Kot stinkt.
Ein Ledergerber färbt selbst seine Kücken. “Tout bio”, kichert er.

Durch die Stadt spazieren ist auch ermüdend. Alle wollen etwas von mir. Selbst das Zuschauen bei den Ledergerbern soll kosten, versichert mir ein “Guard” beim Verlassen der Szene. Es stresst mich. Da ich stets einschätzen muss, mit welcher Absicht jemensch mit mir in Kontakt tritt. Hat er/sie finanzielle Absichten oder ist es reine Neugier, Gastfreundschaft oder Freundlichkeit? Ich will ja auch nicht stets misstrauisch sein. 


24.Nov
Ein stolzer Restaurant-Besitzer in Casablanca. Seine Spezialität: Kamelwürste mit grillierten Zwiebeln in Kamelfett.

Es hat eine gewisse Erhlichkeit, zu zeigen woher das Fleisch kommt.
Ich versuche mir ein Restaurant in Zürich vorzustellen, das einen frischen Kuhkopf vor dem Eingang ausstellt. Wie würde wohl reagiert werden?


26.Nov

Nach einer langen Busfahrt mit dem Velo im Gepäck nach Agadir nun wieder mit dem Velo unterwegs Richtung Süden. Es wird trocken.
Ich mache eine Pause in Tifnit, einem kleinen Fischerdorf. Mein Velo stelle ich bei einem Privathaus hin - dies sei der “Guard”, der auf alle Zweiräder gegen etwas Geld aufpasst, wurde mir gesagt. Ich mache mit ihm einen Preis ab und gehe ins Dorf etwas essen. Als ich zurück komme, fällt mir sein schönes Gewand auf, das den ganzen Körper inklusive Kapuze bedeckt. Ich mache ihm ein Kompliment. Er geht zurück ins Haus und bringt mir ein zweites solches Gewand, genannt Djellaba. Ich solle es anziehen. Ich bin verdutzt. Denke, er will es mir verkaufen. Aber nein, er will es mir schenken. Er will, dass ich es trage. Ich biete ihm etwas an, aber er insistiert, es ist ein Geschenk.
Es passt wie angegossen, ich bin berührt.
Er nennt sich übrigens EscobarYamaha: Er repariert Motorräder und raucht gerne Gras.
Was für ein grandioser Name! Wir sitzen schweigend gemütlich eine Weile zusammen vor seinem Haus. Junge Hundewelpen tanzen um uns herum. Ich habe EscobarYamaha ins Herz geschlossen.
Spontanes, tiefes Vertrauen und sofortiges, instinktives Misstrauen sind bei mir seit einigen Wochen nahe beeinander.



Ich bin 20km zum Meer hin gefahren, um nicht immer auf der Hauptstrasse zu fahren, die etwas im Landesinnern ist. Und als ich endlich am Meer angekommen bin endet die Strasse plötzlich. Nur noch ein kleiner Sandweg durch die Dünen ist zu sehen.
Meine Karte zeigt hier noch eine Strasse an. Hallo. Bis zum nächsten Dorf am Meer sind es 6km. Ich vermute, dass es dort wieder ein Strasse geben wird. Also nehme ich das Risiko und stosse das Fahrrad durch den Sand. Mein 50kg schweres Velo im Sand fortzubewegen verlangt mir Einiges ab. Nur noch in der Unterhose kommt plötzlich ein Glücksgefühl auf, da ich fühle, dass die Küste hier irgendwie unberührt und schön ist. Ich fühle mich irgendwie frei, in einer wunderschönen, verlassenen Landschaft am Meer. 
Als es nacht wird, klopfe ich bei einer Blechhütte an in der Licht brennt. Der Typ schaut mich und mein Fahrrad verdutzt an. Klar, du kannst bei mir bleiben, sagt er. Komm rein.
Er lädt mich zum Essen ein, fünf Freunde kommen dazu, bringen Whiskey, wie jeden Freitag Abend, heisst es. Wir diskutieren über den Islam und Frauen. Ich stelle fest, dass ich, seit ich in Marokko bin, kaum Frauen auf den Strassen sehe, und noch nie eine Frau in einem Café gesehen habe. Wieso das so sei, frage ich. Sie antworten, dass in ihren Kreisen eine verheiratete Frau, wenn sie aus dem Haus will den Ehemann zuerst um Erlaubnis bitten muss. Der Mann muss seine Ehefrau im Gegenzug aber nicht fragen, wenn er aus dem Haus will. Einer im Raum verteidigt diese Haltung, es sei eben eine “valorisation de la femme”, man passe auf die Frau auf, man sorge sich um sie, sie müsse beschützt werden. Ich gerate mit ihm in die Haare, die grösste “Valorisation” sei für mich, sich gegenseitig Freiheit und Selbstbestimmung zu geben. Die Diskussion endet mit einem lustigen Handy-Video, in dem ein traditioneller, marokkanischer Tanz zu sehen ist, den nur Männer tanzen dürfen - oder können - es sei halt schwierig, wie der eine sagt.
Ich hoffe, wir haben schlussendlich beide unseren Horizont erweitert.
Wir essen friedlich gemeinsam. Als Dessert gab es eine riesige Schale mit allen denkbaren Früchten. Bevor ich meine erste Orange geschält hatte, haben die fünf Freunde zwei Drittel aller Früchte schon vertilgt. Noch nie habe ich Menschen mit beiden Händen so schnell, lustvoll, saftig, spritzend, üppig essen gesehen.
Satt legen sich alle irgendwie längs hin, man berührt sich, liegt ineinander - es ist selbstverständlich, es ist halt eng, eine kleine Blechhüte in der Wüste, irgendwie brüderlich. Alle sitzen dann für ca. eine Stunde an ihren Handys, gamen, schauen Videos, hören Musik, jeder für sich, alle Geräusche schallen laut und gleichzeitig durcheinander. 
Marokkanische Gemeinsamkeit 1.0 und 2.0?


 
27.Nov
Es windet stark. Sand in der Luft. Die Augen brennen, im Mund knirscht’s. Ich muss mich einpacken. Ich verstehe nun, wieso Berber*innen in dieser Gegend eine Djellaba tragen. Ich fühle mich wie ein Berber. 
Ich ändere meine Route in Richtung landweinwärts, um nicht frontal gegen den Wind fahren zu müssen.


28.Nov
Ich sehne mich wieder nach Zivilisation. Steuere in eine Stadt. Finde Menschen, essen köstliche Tajine, übernachte in Tiznit in einem Hostel.
Durchfall in der Nacht.


29.Nov
Durchfall.

30.Nov
Durchfall

01.Dez
Durchfall.


02.Dez
Durchfall. Wie kann das sein? Ich esse doch nur noch Brot. Oder ist das Brot etwa auch schlecht.


03.Dez.
Kein Durchfall mehr!


04.Dez
Ich nehme das Velo in den Bus nach Dakhla.


06.Dez
Atemberaubende menschenleere Meeresküste. Die Wüste direkt am Meer.

Dort, wo noch nie ein Badetuch und ein Mensch gelegen ist, sieht es aus, als hinterliessen täglich Hunderte ihre Spuren.

07.Dez
Auf dem Weg an die Grenze zu Mauretanien, treffe ich einen anderen Velofahrer, der soeben von der Grenze abgewiesen worden ist. Marokko hat heute dicht gemacht, wegen der Omrikon-Corona-Variante. Die Ausreise nach Mauretanien ist nicht mehr möglich. Scheisse. Ich drehe mit ihm um.

Wir übernachten an einem Strand mit Fischerbooten, wo uns morgens ein Fischer ein 4kg-Frühstück zubereitet.
Ich stelle fest, dass mein Velofahrer-Kumpane ein berühmter Instagramer (Mikolajsondej) mit Zehntausenden von Followern ist. Er reist seit zwei Jahren um die Welt, dokumentiert alles und lebt davon. Er streamt Live (das Handy-Netz ist in ganz Marokko ausgezeichnet), spricht in Echzeit ins Smartphone, postet Insta-Stories und macht permanent Fotos.

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, in diesem Niemandsland ohne fliessend Wasser und Strom auf einem Bild zu sein, dass sich Minuten später Zehntausende in Polen anschauen und kommentieren.


Ceci n’est pas un palmier.
(C’est un Handy-Antenne.)


08.Dez
Die Grenze ist noch immer geschlossen.
Die Schweizer Botschaft will mir nicht helfen, nach Mauretanien zu gelangen, da sie nicht empfehlen, überhaupt nach Mauretanien zu reisen. Ich versuche es, bei der lokalen Grenzpolizei. Der Chef versichert mir, dass auch für mich als Schweizer Velofahrer die Grenze geschlossen sei. Ich warte also in Dakhla, bis die Grenze wieder aufgeht. 
Wobei das Warten schliesslich kein Warten ist, sondern ein genaueres Entdecken des Ortes.


09.Dez

In der Nähe von Dakhla demontieren drei Typen dieses Schiff am Strand und verkaufen das Metall. Sie sind seit vier Jahren daran. Sie schweissen jedes einzelne Teil von Hand auseinander und tragen es über die Seilbahn an den Strand. Es wird noch weitere sieben Jahre dauern, erzählt er mir und schaut in die Ferne. Nachdenklich, zuversichtlich, sehnsüchtig, zufrieden, wehmütig, erschöpft, erfreut - ich weiss es nicht.
Die Zähne von extrem süssem Tee dezimiert. Die Augen klar und vertraut.
Seine eindrückliche Erscheinung werde ich nicht vergessen.


10.Dez
Marokko verlängert die Sperre bis in neue Jahr. Wer weiss, vielleicht den ganzen Winter. Oje.
Wie komme ich jetzt in den Süden?
Ich höre von Repatriationsflügen nach Mauretanien. Spezial-Flüge, die Mauretanier*innen in ihre Heimat bringen. Air Mauretania hat am Telefon anscheinend kein Problem, mich mitzunehmen.

14.Dez

Velo verpackt. Stundenlang rumgeschraubt. verklebt, gewickelt. Ich kann nun eine Spinne nachempfinden, die wohl eine Genugtuung empfindet, je mehr der Faden die Fliege umwickelt und “kompaktisiert”.

17.Dez
Le Sénégal!
Nach der kargen, leeren Wüste ist das dicht belebte Dakar wie ein liebevolle Faust ins Gesicht. Musik, Gesang, Energie. Alles in Fülle.





Ich habe Moscheen lieben gelernt. Sie sind für mich ein Ort der Ruhe, der Gemütlichkeit und der Besinnung geworden. Ein friedlicher Rückzugsort in oft turbulenter Umgebung. Platz für Spiritualität, in welchem Sinne auch immer. Was mir besonders gefällt ist die Tatsache, dass dieser grosse Raum auch selbstverständlich genutzt und gelebt wird. Es ist wie ein immens grosses, stilles Wohnzimmer, in dem es sich alle auf dem Teppich sitzend gemütlich machen, lesen, denken, sein.
Kirchen fehlt diese Gemütlichkeit, meine ich. 
Die Moschee “Massalikoul Djinane” hat mich besonders berührt. 


Zu meiner Überraschung sitze ich alleine in dieser grössten Moschee Westafrikas. (Die Person da bin ich)
Tränen, losgelöst von Allem. Ich weiss nicht mal warum.



Jesus, Mohammed, Nomade, Berber, Estländer, Schweizer, Suchender, Entdecker, verloren, rastlos, einsam, lebendig, erfüllt, frei?
Es fällt mir ein Zitat-Zeile von Tolkien ein: „Not all who wander are lost.“
à vrai dire.
Ich google das ganze Gedicht:
“All that is gold does not glitter,
Not all those who wander are lost;
The old that is strong does not wither,
Deep roots are not reached by the frost.
From the ashes a fire shall be woken,
A light from the shadows shall spring;”


22.Dez
Unterwegs von Saint-Louis in den Süden.

La Star.



30.12.
Kollision mit einem Roller, Unfall. Liege am Boden. Schock. Sind meine Beine noch da? Ich kann aufstehen. Gott sei dank! Voller Adrenalin. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Viele Menschen um mich. Chaos.
Ich komme zur Fassung - “nur” das Band gezerrt, ein blutiges Schienbein und das Rad verkrümmt. Ich liege im Bett, kann kaum laufen.
Am nächsten Tag Corona erhalten - alles gleichzeitig. Tagelang im Bett. Scheisse.

Ich schaue mir alle möglichen Ted-Talks auf Französisch an.
U.A. dieser:
https://www.youtube.com/watch?v=rgVjL8UBkWc
“Comment j'ai réussi ma plus belle évasion après 25 ans de détention.” Ich liebe Ted-Talks.





La voix de Covid



07.01
Der Körper ist ein Wunder: Innert sieben Tagen hat er mein Schienbein verkrustet, meine Bänder zusammengeflickt, parallel eine Impfung gegen Corona gefunden (während tausende Wissenschatler*innen ein Jahr danach gesucht haben), und währendessen mich gleichzeitig im Kopf mit Ted-Talks unterhalten lassen. Danke mein lieber Körper! Unser aller Wunderwerk!

10.01
Wieder en route Richtung Süden.

Der Baobab-Baum. Ein wasserspeichernder Überlebenskünstler, mit extrem dickem Stamm, schon in jungem Alter. Die Früchte und das Holz sind in der Konsistenz dem Stiropor ähnlich. Er speichert im Stamm tausende Liter Wasser wenn es regnet und überlebt dann Monate ohne Regen.
On dit, il est sacré. Die Senegales*innen haben grosse Ehrfurcht vor ihm. Er wird nicht in der Nähe von Häusern gepflanzt oder Häuser werden nicht in der Nähe von Baobabs gebaut.


13.01
Ich klopfe bei einer Villa am Strand an und frage über die Gegensprech-Anlage, ob ich irgendwo auf dem schönen Grundstück mein Zelt aufstellen könne. Der Typ verneint in perfektem französischen Französisch, das gehe nicht.

Als ich etwas entfernt am Strand nach einem geeigneten Schlafplatz suche, beobachtet mich jemand. Er spricht mich an, ist verwundert, warum ich draussen schlafe, ich solle zu ihm kommen. Mommodu ist „Mechanicien“ und wohnt mit seinem Bruder in einem Mini-Zimmer: ein Doppelbett, ein Schrank direkt am Bett, ein Blechdach. Der eine schläft am Boden, der Andere im Bett. Es ist so eng, dass die Türe nicht geöffnet werden kann, solange dieser am Boden schläft.

Es war an diesem Abend offensichtlich, dass ich bei ärmeren Menschen tendenziell mehr Gastfreundschaft erlebe, als bei Wohlhabenderen. Es scheint mir, dass Menschen, die nicht viel haben, geben und Menschen, die viel haben, Angst haben, zu verlieren. Was macht mein Reichtum mit mir?


Mommodu macht mich auf etwas aufmerksam, dass ich selber nicht realisierte. In Dakar, einer Millionen-Stadt ist keine einzige obdachlose Person auf der Strasse zu sehen. Obschon es natürlich grosse Armut gibt. Mommodu fährt fort, in Senegal ist der Gemeinschafts-Gedanke und die gegenseitige Hilfsbereitschaft sehr stark. Es gebe eigentlich keine Menschen, die niemanden mehr haben. Jede/r habe irgendwo Familie, Freunde, Bekannte, die in der Not zur Seite stehen. In Wolof (der Sprache in Senegal, nebst Französisch) gibt es für diese Solidarität einen eigenen Begriff: Teranga

17.01

Die Strasse der Küste entlang endet bei einem riesigen Flussdelta in Djiffer. Die Weiterreise ist nur noch mit Pirrogues (Senegalesischen Holzschiffen) möglich.





Die einzige Strasse auf dieser Insel ist der harte Strand bei Ebbe. Ab und zu kreuzt mich ein Pferdewagen. Es gibt keine Autos hier. Splendide.



18.01 Ich übernachte mehrere Tage auf der Dachterasse bei Rocki. Zum ersten Mal hat mich (als Mann) eine Frau in ihr Haus eingeladen, was in einem muslimischen Land wohl unüblich ist. Rocki ist eine besondere Frau mit einer speziellen Geschichte. Sie wurde unehelich schwanger, worauf ihre Familie sie verstoss. Die Eltern erlaubten es ihr nicht, den Vater des Kindes zu heiraten (sie sagte mir nicht, warum). Zudem sollte sie das Kind abtreiben. Sie floh nach Dakar, wo sie ihr Kind alleine zur Welt brachte. Nach Jahren kehrte sie zurück, wo sie teilweise Frieden mit ihrer Mutter schloss und nun mit ihrem Kind und der Mutter lebt. Sie beeindruckt mich.
Mittlerweile habe ich schon mehrere Geschichten von “verbotener” Liebe im Stil von Romeo und Julia gehört.
Im mit Muscheln bedeckten Innenhof leben fünf weitere Familien. Die Männen scheinen nicht da zu sein. Es tut gut, unter Frauen zu sein.


22.01 Einmal in der Woche fährt eine Pirrogue ans Festland im Süden. Sie fährt durch die Nacht und kommt 02:00 Uhr morgens an. Was mache ich denn 02:00 Uhr morgens in einem neuen kleinen Ort in den Mangroven? Warum fährt die Pirrogue auch in der Nacht? Niemand weiss es.

Wir sind ca. 20 Leute in einem Holzkahn in einer Vollmondnacht. Es ist still. Niemand spricht. Der laute Motor massiert alle Ohren.

Ein Kind wird gesäugt. Ein alter Mann hustet und raucht und hustet und raucht. Ein Typ pisst quasi öffentlich in eine Pet-Flasche. Viele Schlafen Kopf an Kopf. Zwei Andere schaufeln alle 30 Minuten das sich schnell ansammelnde Brackwasser aus dem Boot. Der Steuermann beginnt zu singen. Wie ein Mantra wiederholt er dieselbe wolofsche Text-Zeile wieder und wieder. Was betet er? Versucht er, sich wach zu halten? Ist das Boot in Gefahr? Niemand reagiert, alle hören zu. Verehrt er die Nacht bei Vollmond (wie ich)? Fahren wir in der Nacht, weil er es so liebt?

Ich lege mich aufs Holz. Es vibriert. Er singt. Ich staune - auf dem Meer im Dunkeln in einem grossen Holzboot.



Am Ende der Reise frage ich den von mir sehr geehrten Kapitän, warum das Schiff in der Nacht fahre?
Er antwortet schlicht: Wegen der Strömung im Delta - bei Flut komme man besser ins Landesinnere. Ha, wünschte ich doch eine poetischere Antwort.


24.01
Nach einer Reifenpanne direkt vor einer Polizei-Kontrolle laden mich die Polizisten zum Essen ein. In Senegal isst man generell gemeinsam aus einer grossen Schüssel. Wer immer vorbei läuft, wird eingeladen. „On est ensemble“ höre ich oft, auch als Begrüssung. Wir sind zusammen.

29.01 In Casamance im Süden Senegals wird Animismus gelebt. Es ist der Glaube, dass die Dinge der Natur beseelt oder Wohnsitz von Geistern sind. Ich selber bin auch gerne mal ein Animist. In Bäumen sehe ich oft Charaktere. Meless, ein Freund, den ich in Bignona kennen lerne, zeigt mir ein Video einer speziellen Kreatur. Sie sieht wie ein Strohhaufen aus und rotiert auf einem Stab magisch, mysteriös um die eigene Achse. Wie geht das? Wer macht das? Was macht das?
Meless antwortet mir, man dürfe nicht fragen, wer das mache. Niemand weiss es. Es handle sich um einen Geist, der in gewissen Situationen auftaucht und den Menschen hilft. Mir entspringt ein Filmprojekt. Meless und ich machen uns auf, eine solche Kreatur zu treffen.
Film coming soon...



02.02

Der hängende Baum von Madina. Ein bizarres Naturspektakel.
Man sagt, es handle sich um eine einzigartige, genetische Anomalie - eine “fehlgeleitete”, einzelne Riesen-Wurzel, die in der Luft nach der Erde suchte. Jahre später, nachdem die Wurzel keine Erde fand, liess sie oben plötzlich Blätter spriessen, wobei nach einer Zeit der untere Teil der Wurzel abstarb und durch den extrem hohen Eisenanteil in der roten Erde ein terz-organisches “Champ Magnetique” entstand. ?!? Was zur Hölle!

04.02

In Zürich war ich gerne mit schwarz-weiss-karierten Hosen unterwegs.
Plötzlich traf ich im Senegal mehrmals Menschen mit Kleidern in genau diesem Muster.
Sie waren alle sogenannte „Baye Fall“. Baye Fall ist eine spirituelle Bruderschaft, die Desinteresse an weltlichen Angelegenheiten hat und losgelöst von allen materiellen Besitztümern lebt.
Die Baye-Fall tragen Patchwork-Kleider, die aus verschiedenen Stoffen zusammen genäht sind (extrem farbig oder schwarz-weiss).




Vom Berber zum Baye-Fall!

05.02


06.02
Senegal gewinnt den Coup d’Afrique im Fussball.
Nach zwei vergangenen Final-Niederlagen hat sich Einiges angestaut, das sich nun in purer Ekstase löst. Ich bin in Kolda. Es ist der 06.Februar. Meine Geburstags-Feier ist nicht einsam.

09.02

Cysso Mane sammelt Papier-Abfall auf der Strasse ein und kreiert Skulpturen daraus. Je suis impressioné! 

Mir fällt eine Szene ein, die ich anfangs in Senegal erlebte:Ich trinke einen Café am Strassenrand, frage den Typ vom Stand, wo ich den Becher entsorgen kann. Er zeigt auf die Strasse. Ich verneine. Er nickt verständnisvoll, ich solle ihm den Becher geben. Freundlich nimmt er den Becher entgegen - und wirft ihn an den Strassenrand. Wir lachen für einen kurzen Moment. In der folgenden Diskussion zeigte sich dies: Es gibt schlicht keine Kehrricht-Verbrennung. Auch wenn er den Becher in einem Kübel aufbewahrt, niemand nimmt ihm den Kübel ab.


13.02


16.02
Grenzübertritt zu Guinea. Beim zweiten Versuch hat es geklappt. Jup.
Geld wechseln: CFA zu GNF. ich werde Millionär. Noch nie hatte ich derart dicke Bündel voller Noten in der Hand.

Mittagessen im Schatten. 33 Grad. Lastwagen-Chauffeure mögen’s eng.


17.02
Es brennt alle 10 Kilometer. Ich trinke über 5 Liter am Tag.
Einmal tief Luft holen und durch!

 

18.02

Es gibt 9 Personen-Tickets zu kaufen für die Fahrt mit diesem Auto. Im Senegal waren es noch 7. Und es wird erst losgefahren, wenn das Auto voll ist.
In Guinea scheint mir Vieles am Limit.

Ein Lastwagen ist umgefallen und blockiert die Strasse. Andere Lastwagen-Chauffeure, die deswegen schon seit zwei Tagen feststecken, fragen uns nach Wasser und Essen.

20.02

Mein Korb vorne ist kaputt. 
Sieben Mechaniker*innen helfen mir zum Glück.


21.02


Meine durchschnittliche Begleitung bei meinen Tätigkeiten im öffentlichen Raum.

Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, nie untertauchen zu können.


22.02



23.02.
La Côte d’Ivoire! Juuu.
(Auch an diesem Grenzposten habe ich zwei Anläufe gebraucht.)

Frühstück bei Madame Taly in Gouéleu. Es gibt Schnapps. Und zwar reichlich. Zuckerrohr-Schnapps. Zum Frühstück! Alle Erwachsenen nehmen munter einige Gläser: “Um in Fahrt zu kommen für den Tag.” 
Die Elfenbeinküste ist mehrheitlich christlich, was sich deutlich im Alkohol-Konsum zeigt (Guinea war muslimisch).


Und in der Tat, ich kam extrem gut in Fahrt! Leicht beschwipst, beschwingt morgens auf dem Velo, c’est pas mal. Bonschour scher Côte d’Ivoire.

25.02
Das erste saubere Süsswasser, das mich zum Baden einlädt. Die Landschaft ist ein bisschen bergig und die Quellen der Flüsse sind nah. Dieser Fluss namens N’Zo ist hier noch durch keine Stadt geflossen. Das passt doch.
Oder lädt es mich doch nicht ein? Leben hier nicht potentiell Krokodile und schwarze Mambas? Auch Schimpansen sind in diesen Wäldern. Hm.
Aber diese einzige Chance kann ich mir nicht entgehen lassen. So hüpfe ich wie ein Spatz in einer Pfütze kurz rein und wieder raus, nochmals rein und wieder raus. Und weg.


27.02
Es ist zwar üppig grün, doch es regnet nicht. Die Regenzeit beginnt im April, heisst es. Oranger Staub färbt das grün.
 
Nun verstehe ich die Flagge der Elfenbeinküste.


29.02
Die allzu schwarzen Kakao-Bohnen müssen raus, damit die Qualität steigt. Ein Stündchen in den Bohnen rum pulen ist ähnlich wie Velofahren: irgend etwas motorisch Leichtes machen und der Kopf schwebt im geleiteten Leerlauf.

Die Bohnen schmecken ausgezeichnet. 

02.03
Ankunft in Abidjan! Juuuuuh!︎︎
In dem Moment, in dem ich an der Stadtgrenze ankomme, beginnt es zu regnen.
Am Tag meines Eintritts in Afrika (in Marokko) regnete es - und jetzt vier Monate später am Ende der Reise ebenfalls. Dazwischen fiel kein einziger Tropfen vom Himmel. Eine besondere Einrahmung der Mutter Natur, denke ich mir. 
Als ich für dieses Foto auf dem Velo balanciere, verliere ich das Gleichgewicht und in mir blitzt auf, wie ich am Boden liege und die Reise dumm beendet ist. Aber Nein, ich konnte mich knapp rückwärts auf die Füsse retten. Oscar’s guter Altstetter Geist ist noch immer mit mir.


02.04
Immer noch in Abidjan. 
Wie die Made im Speck.

10.04
Weitere Kapitel des Filmes entstehen: Le Corps, L’Esprit, La Nature. Wuchtige Themen meiner Reise - interpretiert von Menschen, die ich kennen lernte.
Es werden des poèmes visuels.




15.04
Rückfahrt von Genf nach Zürich. Frühling. Es ist ruhig. Alles so ruhig. So leer. Ich schwebe. Bin ich es, der leer ist? Wenn ja, dann ist die Leere recht angenehm.
Die Schweiz ist immer noch da. 



16.04
In die Heimat soll ich wieder mit Freundes-Hilfe über dieses Schild kehren - und Abschied nehmen von meinem Schutzgeist:
Au revoir cher esprit guardien. Merci pour tous le vécu! Je suis rempli d’expériences. Rempli et vide en même temps.
Bonjour cher zurich, cher amies, cher famille, cher familiarité. 
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.︎︎︎